Wissenschaftler teilen und geben ihr Wissen weiter indem sie sogenannte “Veröffentlichungen” in Fachjournalen publizieren. Das ist schon so seit dem 17. Jahrhundert und in dieser Zeit hat sich eine eigene Form des wissenschaftlichen Artikels gebildet. Egal ob es sich um eine Studie aus der medizinischen Forschung handelt, physikalische Experimente oder die Zusammenfassung und Analyse von Messdaten aus Sensornetzwerken in unseren Meeren und Ozeanen – diese Form des wissenschaftlichen Aufsatzes wird, in den Grundzügen, immer beibehalten. Wir werden die einzelnen Teile erklären und Hilfestellung geben, damit man so einen Artikel besser verstehen kann. Immer mehr Artikel sind nämlich für jeden einsehbar, da sie open access (deutsch: offener Zugang) veröffentlicht werden. Niemand verlangt, dass ihr auch nur einen kleinen Teil des Artikels versteht, wir benutzen ihn nur als Vorlage, um die allgemeine Struktur von wissenschaftlichen Artikeln zu erklären. Wir geben auch ein paar Tipps, wie man sich aus so einem Artikel etwas Wissen heraus ziehen kann, selbst wenn man den Großteil des Geschriebenen nicht versteht. Solltet ihr also auf ein Thema gestoßen sein, dass euch wirklich brennend interessiert, lohnt es sich mal zu schauen, ob darüber ein Wissenschaftler schon etwas geschrieben hat.
Es gibt zig-tausende von Fachjournalen, jedes mit einem eigenen Layout, aber die Struktur ist immer recht vergleichbar. Wir haben hier als Beispiel, im Bild auf der rechten Seite, einen Artikel von Julia aus dem plötzlich-Wissen!-Team genommen. Dieser Artikel wurde im Journal “BioMed Central Genomics” veröffentlicht. In Literaturlisten werden Journal-Namen meistens abgekürzt, hier beispielsweise mit “BMC Genomics”. Renommierte Journale wie “Nature” oder “Science” werden mit “Nat.” und “Sci.” abgekürzt, es gibt aber auch nur komplexere Journal-Namen wie “Public Library of Science ONE” (PLoS ONE) oder „The Journal of the American Medical Association“ (JAMA).
Die kleine Überschrift “Research article” ordnet ein, was für ein Artikel es ist. Es gibt verschiedene Kategorien, die auch von Journal zu Journal unterschiedlich sind. Zum Beispiel ist oft “Letter to the Editor” (Brief an den Herausgeber) lediglich ein zwei Seiten langer Text, der nur eine Abbildung haben darf, “Brief Communication” (Kurzer Austausch) ein Aufsatz, der nicht länger als vier Seiten enthält und nur zwei Abbildung erlaubt und so weiter. Der “Research article” (Forschungs Artikel) erlaubt manchmal acht Seiten und fünf Abbildungen, in manchen Journalen gibt es keine Obergrenze – aber man wird immer gebeten sich kurz zu fassen, und das wird auch kontrolliert durch den Einreichungsprozess und das peer review.
Die größere Überschrift ist der Titel des Artikels, hier “Effects of temperature on gene expression in embryos of the coral Montastraea faveolata” was so viel heißt wie “Temperatureffekte auf die Gen-Expression in Embryonen der Koralle Montastraea faveolata”.
Es folgt die Autorenliste und die Kontaktdaten der Autoren*inen. Dabei hat die Reihenfolge der Autoren eine Bedeutung. Der erste Autor, auch Erstautor genannt, hat oft die meiste Arbeit in den Aufsatz gesteckt, und dem einen oder anderen wird vielleicht aufgefallen sein, dass unsere Julia bei diesem wissenschaftlichen Artikel “nur” an zweiter Stelle steht. Allerdings ist hinter ihrem Namen ein kleines, hochgestelltes Kreuz zu sehen, genau wie beim Erstautor. Einige Zeilen weiter unten wird dieses Zeichen erklärt mit dem Vermerk “Equal contributors”, was so viel heißt wie “zu gleichen Teilen beigetragen”. Julia ist also nicht Erstautorin, sie hat aber ebenso viel beigetragen wie der Erstautor, so dass dies gesondert in der Autorenliste vermerkt wurde. Der letzte in der Autorenliste ist die Ansprechpartnerin für den Artikel, die “corresponding author”. Oft ist das gleichzusetzen mit dem Professor*inn, die oder der eine der beteiligten Forschungsgruppen leitet. Fachkollegen wenden sich in der Regel wegen Nachfragen oder Angeboten für eine Zusammenarbeit an die oder den “corresponding author”. Dann folgt die Zugehörigkeit der Autoren zu den jeweiligen Einrichtungen und die Kontaktdaten.
Es folgt ein Abschnitt der kurz definiert wie man diesen Aufsatz zitieren sollte und einige technische Daten und die Lizenz. Ich habe das hier noch einmal vergrößert:
Hier steht wann der Artikel veröffentlicht wurde, aber vor allem auch wann er eingereicht (Received) und zur Veröffentlichung akzeptiert (Accepted) wurde. “BMC Genomics 2009, 10:627” nennt erneut den Titel des Journals, das Jahr (2009), die Ausgabe des Journals (10) und die Seite oder laufende Nummer (627) unter der dieser Artikel zu finden ist. Wenn man dazu noch den Namen des Erstautors nennt, mit dem Vermerk “et al.” was für “und andere” steht, hat man einen Eindeutigen Verweis auf diesen Artikel und kann so sauber zitieren, in dem man die konkrete Quelle nennen kann. Das sieht dann also so aus: “Voolstra et al., BMC Genomics 2009, 10:627”. Die drei Buchstaben “doi” stehen kurz für “digital object identifier”, und verweist auch eindeutigen auf diesen Artikel und zwar maschinenlesbar. Für manche Suchmaschinen ist es recht hilfreich die doi zu kennen, um den vollen Text eines Artikel zu finden. Schließlich steht hier noch die Lizenz, die in diesem Fall eines open access Artikels die Creative Commons Attribution License ist.
Aber nun geht es endlich mit dem Text los. Jeder wissenschaftliche Aufsatz beginnt mit dem “Abstract”. Das ist eine Zusammenfassung, in der das Thema genauer umrissen wird, die verwendeten Methoden und Analysen, die Schlüsse die man daraus zieht und das Ergebnis der Forschung. So ein wissenschaftlicher Artikel hat mit einem guten Buch also rein gar nichts zu tun. Im Abstract wird das Ende immer gleich vorweg genommen. In unserem Beispiel finden sich drei Kategorien im Abstract: Hintergrund (Background), Resultate (Results) und Schlüsse (Conclusion). Auch wenn ein Artikel bei einem Fachjournal hinter einer Bezahlschranke liegt, kann man eigentlich immer wenigstens den Abstract lesen. Der ist immer kurz und knapp gehalten, bei vielen Fachjournalen hat man lediglich ein paar hundert Zeichen Platz dafür.
Normalerweise besteht ein Artikel immer aus acht Teilen deren Reihenfolge auch wechseln kann:
- Titel und Autoren
- Zusammenfassung (Abstract)
- Hintergrund oder Einleitung (Background oder Introduction)
- Ergebnisse und/oder Diskussion (Results and/or Discussion)
- Material und Methoden (Material and Methods)
- Schlüsse (conclusion)
- Beiträge der Autoren und Dank (Author contributions, Acknowledgements)
- Literaturverzeichniss
Über den Titel, die Autoren und den Abstract hab ich schon gesprochen. Im Hintergrund oder in der Einleitung ordnen die Verfasser genau ein, in welchem Bereich die Forschungsarbeit stattgefunden hat. Dort werden häufig grundlegende Arbeiten oder andere Artikel, die direkt zu diesem Stück Forschung geführt haben, zitiert. Wissenschaftler*innen sagen manchmal das Forschung auf den Schultern von Riesen gemacht wird (“Stand on the shoulders of Giants”) – genau das ist hier gemeint: Kein/e Wissenschaftler*in kann ohne die Arbeit von anderen wirklich zu neuen Erkenntnissen gelangen. Daher wird hier auch auf viele wissenschaftliche Artikel von anderen verwiesen. Oft wird dies mit Zahlen in eckigen Klammern gemacht, zum Beispiel so: [27]. Was dann auf den Artikel Nummer 27 im Literaturverzeichnis am Ende des Artikels verweist.
Im Abschnitt Ergebnisse und/oder Diskussion (Results and/or Discussion) wird genau dargelegt, was es Neues gibt und wie die Messdaten oder Experimentergebnisse aussehen. Diese werden diskutiert, dass heißt, es wird eingeordnet, welche Fehlerquellen hier eine Rolle spielen können, beschrieben, welche statistischen Grundlagen vorhanden sind, damit diese Daten vertrauenswürdig sind und auch was gezeigt werden konnte und was eben nicht.
Der Abschnitt Material und Methoden soll genau erklären, was bei welchem Experiment wie eingesetzt worden ist und wie die erhaltenen Daten ausgewertet wurden – und zwar erschöpfend, so das es von anderen Wissenschaftler*innen nachgemacht werden kann. Eine Anleitung also, um die Ergebnisse reproduzieren zu können. Zum einen ist dieser Teil besonders wichtig, um die Vorgehensweise nachvollziehen zu können, zum anderen aber auch, um die Ergebnisse des Artikel reproduzieren zu können oder das gleiche Vorgehen bei anderen Proben oder Fragestellungen einsetzen zu können. Das ist ein wirklich hoher Anspruch. Je nach Fachrichtung wird diese Beschreibung in sehr spezifischen Fachjargon verfasst und häufig wird gerade hier auf andere Artikel verwiesen.
Viele Menschen, die das erste Mal mit einem wissenschaftlichen Artikel konfrontiert sind, sind überrascht, dass es einen eigenen Abschnitt “Schlüsse” oder “Conclusion” gibt, wo doch eigentlich bei den Ergebnissen und/oder der Diskussion alles hätte gesagt werden können. Der “Schlüsse”-Abschnitt hat die Funktion, die erhaltenen Ergebnisse in den Stand der Forschung einzuordnen und eventuell sogar einen Ausblick zu geben, für welche weiteren Bereiche und Forschungsfelder die vorgestellten Ergebnisse wichtig sein könnten. Verweise auf die Arbeiten anderer Wissenschaftler helfen dabei der Einordnung zu folgen und können auch die Argumentation untermauern, warum die Ergebnisse dieses Artikels Einfluss auf weitere Bereiche haben kann.
Es folgt der Bereich mit den Beiträgen der Autoren (Author contributions) und der Dank (Acknowladgements). In unserem Beispiel von Julia sind das getrennte Bereiche am Ende des Artikels, vor dem Literaturverzeichnis – dass muss aber nicht immer so sein. Bei den “Author contributions” werden die Initialen der jeweiligen Autoren benutzt um zuzuweisen, wer welche Arbeit gemacht hat. Unsere Julia von “Plötzlich Wissen!” heißt Schnetzer mit Nachnamen und wird daher mit “JS” bezeichnet. Im Artikel steht: “JS carried out microarray hybridizations, data extraction and analyses, and wrote the manuscript.” – was frei übersetzt heißt, dass Julia die Hybridisierungsexperimente gemacht hat, daraus die Daten extrahiert und analysiert hat und das Manuskript verfasst hat. So kann man also auch genau zuordnen welcher Autor für welchen Teil des Artikels verantwortlich gewesen ist. Im Dank, oder engl. “Acknowledgements”, wird allen gedankt, die an der entstehung des Artikels beteiligt waren und keine Autoren sind. Das können technische Assistent*innen aus dem Labor sein, zentrale Einrichtung der Universität, Kolleg*innen die ihre Meinung abgegeben haben oder auch die Fördereinrichtungen, die das Geld für die Forschung gegeben haben. Oft sind hier auch genau die Förderungsprogramme mit ihrer Nummer aufgeführt, so das genau zugeordnet werden kann, woher genau das Geld für diesen Artikel gekommen ist. Manchmal werden auch hier die Initialen benutzt, falls die Forschungsförderung an eine bestimmte Person gebunden ist.
Zum Abschluss des Artikels folgt die Literaturliste. Dort sind alle im Text angeführten (zitierten) Studien und Artikel gelistet: entweder in der numerischen Reihenfolge, in der sie im Artikel erscheinen (wie in diesem Artikel hier) oder alphabetisch nach Erstautor und Erscheinungsjahr, das ist von Journal zu Journal unterschiedlich.
Wenn man das erste mal einen Artikel liest, versteht man sicher nicht alles. Aber das geht einer professionellen Wissenschaftlerin oder einem professionellen Wissenschaftler oft ganz genau so – niemand hat wirklich jede Methode und jedes Ergebnis im Kopf. Wenn ich einen Artikel lese, nehme ich mir zunächst den Abstract vor und dann die Results. Die anderen Teile schaue ich mir zunächst gar nicht an. Dann werfe ich einen Blick auf die Abbildungen und Tabellen, und was dazu in den Bild- oder Tabellenunterschriften steht, um den Results-Teil verstehen zu können. Wenn etwas davon direkt meinen Forschungsbereich betrifft, schaue ich mir noch die Conclusion an und lese eventuell den Hintergrund, um eine bessere Einordnung vornehmen zu können. Wenn ich etwas aus dem Artikel für meine Forschung gut gebrauchen kann, erst dann lese ich die Material- und Methode-Teile. Dieses “Querlesen” mag auf den ersten Blick etwas verwirrend klingen, man gewöhnt sich aber recht schnell daran und findet sich dann auch einige Zeit später mit der Erkenntnis ab, dass man nicht alles Wissen kann und man deswegen alles aufschreiben muss. Jede/r Wissenschaftler*in hat sicher irgendwo einen Ordner auf dem Computer, in dem einige Artikel liegen die sehr genau das eigene Forschungsfeld umreißen und aus denen man selbst immer wieder zitiert, wenn man einen Artikel schreibt. Man könnte sagen, das diese Arbeiten von anderen Forschern dann die Schultern sind, auf denen die eigene Forschung steht.
Eine Geschichte dazu aus der Wikipedia: Zwerge auf den Schultern von Riesen.
Text: CC-BY-SA 4.0, Dr. André Lampe für Plötzlich Wissen!