Eine Frage von uns: Wie schmeckt eigentlich Tiefseeanglerfisch-Alkohol?

Antje Boetius mit Kneipenfrage

Unsere Frage an Antje und rechts oben, versucht sich ein Dugong ins Bild zu schummeln...

Es gibt ja viele Menschen in diversen Erdteilen, die sich an alkoholischen Getränken mit Tieranteil versuchen: Denkt an Raupen und Schlangen in Tequila und so. Aber es gibt weltweit vermutlich nur eine einzige Person, die sich an dem Alkohol des erstpräparierten Anglerfisches gewagt hat. Wenngleich natürlich nicht in so großen Mengen, wie normalerweise bei alkoholischen Verkostungen üblich, denn Probiergrößen für Präparatalkohol gibt es aus guten Gründen nicht. Diese sehr einzigartige Dame heißt Prof. Dr. Antje Boetius und ist ihres Zeichens Tiefseeforscherin und neue Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts. Manchmal arbeitet sie mit Julia zusammen, manchmal sitzt sie auf einem Forschungsschiff, manchmal schreibt sie tolle Bücher über die Tiefsee, manchmal sieht man sie im Fernsehen und wenn man Glück hat, hört man einen ihrer Vorträge. So ist es uns gegangen, als wir auf der Abschlussveranstaltung des Wissenschaftsjahres (hier der Bericht) waren und wir hörten staunend von ihrem Erlebnis mit einem (toten) Tiefseeanglerfisch. Antje berichtete von ihrem besondersten Erlebnis im Rahmen des Wissenschaftsjahres: es beinhaltete, dass sie sich aus Versehen beim Halten des wohl ältesten Präparates ein wenig des Alkohols über die Finger gekippt und kurzerhand das Interview für einen Geschmackstest unterbrochen hat.


Antwort

Tiefseeanglerfisch-Alkohol wird wohl kein neuer Renner unter den extrem limitierten Getränken. Er schmeckt bitter. Und es gibt nicht viel davon. Zumindest nicht von dem, den Antje gekostet hat. Der steht brav in einer Sammlung des Berliner Naturkundemuseums herum. Also brauchen wir uns keine Gedanken über neue Meeres-Mischgetränke machen. Wohl aber über den Anglerfisch im Allgemeinen, denn er ist ein wundersames Tier.

Merkwürdiges Meerestier: Tiefseeanglerfisch

Tiefseeanglerfische gehören zu den allerbesondersten unter den bisher bekannten Meeresbewohnern. Und das ist quasi fast noch untertrieben ausgedrückt. Die Frauen sind dabei größer als die Männer (zwischen 6cm und bis zu 1,2m Länge) und nur sie besitzen die namensgebende Angel. Die leuchtet ihnen aber nicht etwa den Weg zum nächsten Futter, denn wie ihr in den Videos erkennen könnt: Tiefseeanglerfische gehören nicht unbedingt zu den schnittigsten Schwimmern. Das müssen sie aber auch gar nicht, denn ihre Taktik ist selbstverständlich ausgefeilt und an ihre Umgebung angepasst. Die leuchtende Angel lockt das Futter an, da braucht der Fisch nicht allzusehr zu suchen. Außer der Leuchtkraft der Angel gibt es nicht viel Licht in der Tiefsee. Das macht ungemein attraktiv und anziehend. Das finden auch die männlichen Anglerfische, deren Hauptaufgabe das möglichst schnelle Auffinden eines

Tiefsee-Anglerfisch
Wer erkennt das Männchen? Bei dem hier abgebildeten Rutenangler ist der Größenunterschied sehr eindrucksvoll. Finden wir. /Foto: Andrew Butko

Weibchens ist. Sobald sie eine Dame in Maulweite finden, beißen sie sich an ihr fest und haben ihr Lebenssoll erfüllt. Zumindest, was das Alleine-Leben betrifft. Sie wachsen nun an dem Weibchen fest und stampfen die meisten Organe ein: wer braucht schon Augen oder Maul, wenn er in eine extreme Symbiose mit seinem Weibchen gehen kann und sich in den meisten Fällen sogar über ihren Blutkreislauf mit versorgen lässt?! 😉 Auf jeden Fall nicht der Anglerfisch, denn er spendet hauptsächlich seinen Samen an die Dame, sobald sie Bedarf hat und wird weiters nicht mehr belangt. Fortan leistet er lebenslange Begleitung und lässt sich, abgesehen von seiner Samenspende, von ihr aushalten. Gut, dass er als Zwergmännchen (ja, die werden tatsächlich so genannt!) nur wenige Zentimeter groß ist, damit die Dame nicht so schwer an ihm zu schleppen hat. An einigen Anglerfisch-Damen hat man bis zu 8 Männchen entdeckt. Das ist sozusagen der bisher bekannte Tiefsee-Anglerfisch-Rekord.

Tiefseeanglerfische mögen es wirklich tief. Man findet sie auch noch in über 3 Kilometer tiefem Wasser. Wenn man sie findet. Denn das ist ein bisschen wie eine Nadel im Heuhaufen suchen. Umso stolzer sind die Forscher über folgendes Video (Achtung, vom Handy klappt dieses Video hier besser, ist aber auf Englisch) aus dem Jahr 2014, in dem sie erstmalig einen lebenden Anglerfisch namens Schwarzangler oder auch Tiefseeteufel aus den Tiefen des Ozeans vor die Augen der Weltöffentlichkeit bringen konnten. Darin sieht man ein Weibchen mit schicker Angel und einem fast ausgefallenem Zahn sowie ihr Zwergmännchen, das an ihrer Unterseite festgewachsen ist. Die Damen können übrigens auch Fische fressen, die deutlich größer sind als sie. Dehnbarer Magen… hätte ich manchmal auch gern. 🙂

Das Leuchten der Angel erfolgt als chemische Reaktion, denn die Damen leben nicht nur zusammen mit den Männchen, sondern kümmern sich auch um das Überleben der Bakterien, die das Licht in der Tiefsee spenden. Am Ende ihrer Angel hängt der “Köder”, der leuchtend der Beute den Weg zum Maul des Fisches weist. Aber nicht nur das: Eine Gattung der Anglerfische hat sogar zwei verschiedene Methoden zu Leuchten entwickelt. Es gibt bei ihnen nicht nur die sozusagen körperfremden leuchtenden Bakterien, die in dem Köder gespeichert sind, sondern auch selbstleuchtende Zellen, die sich im Laufe der Entwicklung des Organismus entwickelt haben. Sehr spannend, denn es ist einzigartig, gleich zwei verschiedene Leuchtmechanismen an einem Tier zu finden! Natürlich wird noch dran geforscht… ebenso daran, dass wahrscheinlich im Köder der Angel auch Lockstoffe für die Männchen produziert werden. Eine kluge Technik, um im großen Ozean den Zwergmännchen eine Chance zum Finden der Weibchen zu geben. Die schwersten Weibchen sind fast eine halbe Million mal schwerer als ihr kleingewachsenes Männchen und fast 60mal länger (Ceratias holboelli).

Überhaupt könnte man sich natürlich fragen, wozu die Forschung an den wirklich schwer zu findenden Tiefsee-Anglerfischen gut ist. Abgesehen davon, dass es natürlich einer Schatzsuche gleicht, sie überhaupt lebend zu treffen. Und wer findet nicht gern Schätze?! Zu den anderen sehr guten Gründen zählen ihre besonderen Eigenschaften, die sie zum Überleben in dem unwirtlichen Habitat entwickelt haben und vor allem die Besonderheiten bei der Variante der Reproduktion. Wenn man mehr über diese besondere Art der Vorgänge im Körper der Anglerfische wüsste und deren Fortpflanzung komplett nachvollziehen könnte, würden sich alle, die sich mit Hormonen beschäftigen, sicherlich sehr freuen, denn die Weibchen steuern mit ihnen wirklich wundersame Vorgänge.

Und hier gibt es noch ein Video über Anglerfische im Allgemeinen, also auch die, die nicht in der Tiefsee wohnen und keine Leuchtangeln haben. Es läuft auf Englisch und trifft meinen Hang zum britischen Humor. Achtung: trocken. Obwohl sich alles unter Wasser abspielt.

Erste Tauchtiefe

Zweite Tauchtiefe

Text: CC-BY-SA 4.0, Inga Marie Ramcke für Plötzlich Wissen!