Freizeit? Fischer! – Daten von und über Angler schaffen Wissen über Fischbestände

mit freundlicher Genehmigung von ruthe.de

Der leckerste Fisch ist der selbstgefangene, oder? So geht es in Deutschland und Europa sehr vielen Freizeitfischern. Und die haben mit ihrem Hobby, dem Angeln, einen Einfluß auf unser Ökosystem. Denn es sind viele, die nach dem Erhalt des Angelscheins in die freie Wildbahn entlassen sind und ihrem schönen Hobby nachgehen. Für die Zahlenfreaks unter euch: 2010 wurden etwa 1.503.043 Angelscheine verkauft und es gab 875.000 organisierte Angler in Vereinen (Jahresbericht der Binnenfischerei 2010). Natürlich kann man daraus noch nicht erkennen, wie sich das auf das Freizeitangeln in den Meeren auswirkt, aber es zeigt schon mal, dass es doch recht viele Freizeitangler gibt.

Wie groß der Einfluß tatsächlich ist, wird seit 2001 Europaweit nachzuvollziehen versucht. Seitdem gibt es eine EU Verordnung namens (EG) Nr. 1639/2001 (PDF) und mittlerweile eine Novellierung  (Verordnung (EG) Nr. 1581/2004). Aber die genauen Daten zu erhalten ist sehr schwierig, weil der Angelschein – die Zugangsberechtigung zum offiziellen Freizeitfischen (außer in Niedersachsen) – ein Leben lang gilt und nur in Mecklenburg-Vorpommern auch eine Zusatzgenehmigung für das Ostseeangeln eingeholt werden muss. Das bedeutet wiederum sehr viel Arbeit, um an aufschlußreiches Datenmaterial zu gelangen und damit die Bestandsentwicklung der Fische erfassen zu können.

Dorsch Portät
Entschuldigung, bin ich jetzt im Fernsehen?!? Nope… Ein Dorsch, fotografiert von
Adrian Mohedano

In Deutschland arbeitet das Thünen-Institut unter dem Titel “Deutsches Meeresangelprogramm” daran, die Daten von Freizeitanglern in Nord- und Ostsee zu erfassen. Die Mengen an privat geangelten Fischen ist nämlich bei einigen Arten gar nicht so gering. Um nicht zu sagen: sie hat Auswirkungen auf die Bestände. Beispielsweise entfallen zwischen 34 und 70% der jährlichen Fänge von Kabeljau (auch bekannt als Dorsch) in der westlichen Ostsee auf die Freizeitfischerei gemessen am Anteil der kommerziellen Fischerei. Das entspricht im “schlimmsten Fall” 41% der Gesamtmenge. Die Zahlen stammen aus einer Studie, die Fangmengen zwischen 2005 und 2010 erfasst (hier der Link).

Zu den erhobenen Fangdaten im “Deutschen Meeresangeprogramm” gehören Meerforellen, Europäischer Aal, Blauflossen-Thunfisch, Atlantischer Lachs und Kabeljau.

Hai am Haken
Fetter Hai am Haken? Ne, nur eine frühe Variante von Photoshop um 1910

Die Herausforderung besteht vor allem darin, dass Freizeitangler ihren Fang nicht angeben müssen und somit ein relativ großer Aufwand betrieben werden muss, um an auswertbare Daten zu gelangen. Auch die unterschiedlichen Arten, die Fische zu fangen, stellen die Wissenschaftler vor Herausforderungen. Denn bei einen Teil werden die Fische sofort nach dem Fang wieder freigelassen, weil sie zu klein sind (sog. “Catch & Release”). Die Überlebensrate dieser “Freigänger Fische” ist nicht komplett nachvollziehbar, da unklar ist, was der vorübergehende “Gewahrsam” mit ihnen macht (ein Fall für eine Fisch-Trauma-Therapie?…). In Bezug auf Dorsch in der Ostsee gibt es tatsächlich eine Studie, die sich mit der Sterberate wiederfreigelassener Fische befasst. Je nach Wassertemperatur betrug in der Pilotstudie die Sterblichkeitsrate der wiederfreigelassenen Fische zwischen 0,0 % und 27,3 % mit steigender Tendenz bei höherer Wassertemperatur und bei Wundblutung.

Grundsätzlich ist die Datenerhebung über die Freizeitfischerei ein mehrjähriges Unterfangen und umfasst sehr viele verschiedene Methoden, zum Beispiel Telefoninterviews mit Anglern, Tagebucherhebungen durch die Angler in Bezug auf deren Fang, Interviews u.a.. Mehr zu den Methoden findet ihr hier. Fischereimangagement ist also nichts, was mal so eben nur am Schreibtisch gemacht wird und sehr aufwendig. Die Ergebnisse der Studien führen zu Veränderungen bei der Betrachtung und Neuberechnung der Fischbestände.

Es ist kompliziert… Internationale Steuerungsstrukturen der Ozeane. Aus: Meeresatlas.org

Es kommt nicht von ungefähr, wenn das Fischereimanagement nach besseren Quoten und der Einberechnung der Quoten der Freizeitfischer verlangt. International sieht es nämlich ganz schön kompliziert aus, weil so viele Organisationen und Länder mitreden und es dadurch keine einheitlichen Richtlinien für alle, dafür aber umso mehr Schlupflöcher für den Mißbrauch des Meeres und seiner Ressourcen gibt. Mehr über das Thema gibt es auch im Meeresatlas der Heinrich-Böll-Stiftung, den ihr hier kostenlos herunterladen könnt.

Ganz aktuell gibt es auch eine Sendung nicht nur für Kinder zum Thema “Leere Meere”. Und zwar hier: http://www.tivi.de/mediathek/leere-meere-2167940/

 

Erste Tauchtiefe

Zweite Tauchtiefe

Text: CC-BY-SA 4.0, Inga Marie Ramcke für Plötzlich Wissen!

2 Kommentare

  1. Ich finde Eure Artikel eigentlich immer schön zu lesen, muss aber als Angler in diesem Fall meine Verärgerung zum Ausdruck bringen.
    Alles was ich diesem Artikel entnehmen kann ist ein gefährlich verzerrtes Bild von der Freizeitfischerei – leider zulasten derselben. Warum “verzerrt”? Die Aussage, dass zwischen 34 und 70 Prozent der Dorschfänge der Freizeitfischerei zuzurechnen sind, ist entweder aus dem Vorwort der genannten Quelle falsch übersetzt oder die diesem Vorwort zugrunde liegenden Quelle ist falsch interpretiert. Denn nicht 34 bis 70 Prozent der Gesamtfänge sind Freizeitfänge (dies wäre absurd hoch), sondern die Freizeitfänge machen, wenn man so will, 34 bis 70 Prozent der kommerziellen Fänge aus. Die Zahl beschreibt also nicht das Verhältnis von Freizeitfängen zu Gesamtfängen, sondern von Freizeitfängen zu kommerziellen Fängen. Zusätzlich tritt der hohe Wert (70 Prozent) in einem Jahr auf, indem die kommerzielle Fischerei die geringsten Fänge hat. Die Freizeitfischerei bleibt nahezu konstant “gering” über die Jahre. Abgesehen davon, dass die verwendeten Zahlen sieben Jahre alt sind, rückt der Artikel die Freizeitfischerei in ein sehr schlechtes Licht. Leider geht der Artikel auch nicht auf Vergleiche anderer Fischarten ein, sondern es wurde (möglicherweise bewusst) die reißerischste Zahl herausgepickt. Ich will nicht behauten, dass die Dorschbestände toll sind, aber die Freizeitangelei zu kastrieren ist hier offenbar der falsche Ansatz. Ich hätte mir etwas bessere Recherche und mehr Ausführlichkeit gewünscht, anstatt der falschen Wiedergabe eines zugegebenermaßen betroffen machenden Vorwortes.

  2. Du hast Recht, Timo. Uns ist da ein kleiner Fehler unterlaufen. Die Darstellung der Zahlen ist im Artikel (https://academic.oup.com/icesjms/article/69/10/1769/623611) (siehe zweite Tauchtiefe) schwer zu verstehen, da die Begriffe “commercial landings” und “total landings” nicht klar voneinander abgegrenzt wurden.
    Für das Jahr 2010 gab es 4250t kommerziell gefangen Kabeljau und ebenfalls in 2010 haben Freizeitfischer 2962t Kabeljau gefangen. Wenn man die Menge der Freizeitfischer mit der Menge der kommerziell gefangenen Fische vergleicht, dann sind das 70% – so hat es der Artikel getan. Das sind dann aber nur 41% der Gesamtmenge der gefangenen Fische. Das im Artikel nie die Gesamtmenge der gefangen Fische ausgerechnet wird, und das die Prozentzahlen immer nur ein Mengenvergleich zwischen kommerziell und Freizeit sind ist uns da durchgerutscht. Danke das du so gut aufgepasst hast und uns korrigiert hast – wir werden den Text dementsprechend auch anpassen!

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